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Das Wespennest

Juni 2008

Wespennest
Feldwespen im Mai

Letzten Sommer hatte ich etwas spezielle Gäste auf meinem Balkon. Zwischen der Bodenplatte und dem Geländer hatte eine Wespenkönigin ihr kleines Reich gegründet, und als ich das etwa tischtennisballgrosse Nest entdeckte, war mir gar nicht wohl. Ja ja - das 2. Prinzip - sorge Dich nicht, und ich unterrichte das ja auch. Aber Wespen auf dem Balkon - wie soll ich mich da nicht sorgen? Ich hatte zwar nie Ärger mit Wespen, ausser einmal einem Stich in die Lippe. Ich gab sofort Reiki drauf. Die Schwellung war nach 15 Minuten weg und es tat gar nicht weh. Aber da lief dieses Programm ab - Wespen sind Störenfriede, sie können auch übler stechen, und wie soll ich mal in Ruhe auf MEINEM Balkon etwas essen oder trinken, wenn sie da sind? Also schlug ich das Nest kurzerhand mit einer LANGEN Schaufel ab.

Das Nest fiel in die Regenrinne. Da stand ich und spürte die Wut in meinem Bauch. Es braucht Wut, um jemand etwas kaputt machen zu können. Es fühlte sich nicht gut an. In diesem Fall fühlte es sich sogar besonders schlecht an, sah ich doch die Königin, wie sie sich an ihrem Nest festhielt und mit dem Nest zusammen in die Tiefe stürzte. So viel Willen und Bestimmtheit hatte ich nicht erwartet. Das kannte ich bislang nur von einzelnen Menschen, mit einer gewissen Entschlossenheit an etwas festzuhalten (wie ein Reikianer, der sich täglich behandelt, egal was herauskommt).

Ein paar Tage später staunte ich nicht schlecht. Die Königin blieb und baute weiter. Ich war tief bewegt. Der gute alte Platz war weg, das Nest lag auf dem Boden. Aber sie machte einfach weiter, halt das beste, was sich in dieser Lage machen liess. Vielleicht hatte sie keine Zeit mehr, woanders von vorn anzufangen? Wie schwierig muss die Situation dieser Wespen sein, wurde IHNEN doch so viel Lebensraum genommen? Das beharrliche Weiterbauen hatte mich erneut tief beeindruckt, und ich schloss Frieden. Ja - ich habe der Königin und ihrer ersten Helferin sogar eine Reiki Einweihung gegeben.

Fortan durfte ich teilhaben am Leben dieses winzigen Königreiches. Immer war ich voller Spannung, was ich wohl neues sehen würde, wenn ich wieder in die Spalte am Geländer schauen würde. Da waren diese kleinen Lebewesen, deren ganzes Leben nur eine Saison wären würde. Sie taten sich zusammen, erlebten den Frühling wie wir, es war eine Freude, die Säfte zu spüren, das Leben einzuatmen, dem Fluss des Lebens zu lauschen. Ich sah die Kokons, wie die Waben auf einmal gefüllt waren, wie die ersten Arbeiterinnen schlüpften und das Nest danach umfangreicher wurde. Im Sommer erreichte der Staat seinen Höhepunkt. Ich sah 10 und mehr Tiere, darunter sicher neue Königinnen und die unbefruchteten männlichen Drohnen. Für die neuen Königinnen begannen nun die 12 Monate ihres Lebens. Sie trafen sich an ausgewählten Orten zur Paarung und suchten sich dann einen geschützten Platz zum Überwintern.

Wespennest
Feldwespen und ihr Nest im Juli

Das Rad des Lebens nahm seinen Lauf. Die 5 Elemente bewegten sich im Kreis, für Wespen eben leider nur einmal. Frühling-Sommer-Spätsommer-Herbst-Winter oder Sehen-Fühlen-Schmecken-Riechen-Hören oder Wut-Freude-Sorge-Trauer-Angst. Ich war regelrecht gefangen, die einzelnen Phasen bei meinen Bewohnern zu beobachten, und es erinnerte mich an meine eigenen Konzepte von Zeit, Angst, Trennung und Sterblichkeit. Wie es wohl die Wespen empfanden? Wie sie wohl damit umgingen? Wie mochte das sein, wenn ich den Kreislauf der Jahreszeiten nur einmal erleben könnte?

Der Spätsommer war der Höhepunkt. Es herrschte Stille! Ruhe und Frieden und Klarheit. Indian Summer! In diesem Moment fand ich am besten zu mir, hörte ich mir am besten zu, fand meine Synthese statt. Für diesen Moment lebte vielleicht auch die Wespe und konnte dann hoffentlich sagen - es ist vollbracht, und es ist gut, so wie es ist. Speicherte sie jetzt ihre Erfahrungen in den Datenbanken des Universums ab? Da wäre unser Staat fast zugrunde gegangen, an jenem Ort hatten wir es gut, und dort trafen wir auf ein anderes Volk? Noch waren die Tage warm, aber die kühlen Nächte deuteten schon an, dass das Leben auf dem Rückzug war. Die Wespen hatten zunächst wohl die Stille genossen, sie waren fast unbeweglich, und wie es dann kälter und kälter wurde blieben sie unbeweglich. War es jetzt aus Trauer? War es vor Kälte? Es blieb nichts mehr zu tun. Es gab nur noch die Rückschau. Welch Privileg ich doch hatte, an all dem teilhaben zu dürfen.

Eines Tages im November war das Nest verlassen. Die alte Königin beendete ihr einjähriges Leben und mit ihr ging der Wespenstaat zugrunde. Ich verabschiedete mich innerlich von meinen Freunden. Ein paar Tage später entfernte ich das Nest (die Nester werden nie zweimal benutzt). Es war wie dünnes Papier und ganz leicht.

Vor mir liegt eine Broschüre der Pro Natura. Jetzt erst lese ich, wie nützlich die Wespen bei der Schädlingsbekämpfung sind. Nur die beiden häufigen unterirdisch nistenden Arten (gemeine Wespe und deutsche Wespe) machen sich manchmal über den Pflaumenkuchen her. Andere und für den Menschen harmlose Arten haben in der Tat akuten Wohnungsmangel. Es sind die seltenen Wespenarten, die ihre Nester auf dem Dachboden oder an anderen zugänglichen Stellen errichten, und sie benötigten eigentlich unseren Schutz, denn durch den Menschen sind deren natürliche Nistplätze wie Baumhöhlen rar geworden. Wenn der Mensch sie nicht belästigt, lassen sie den Menschen auch in Ruhe. Es gibt genügend Beispiele, wo selbst Hornissen in unmittelbarer menschlicher Nähe, zum Beispiel bei Schuleingängen, ohne den geringsten Zwischenfall genistet haben.

Ich schaue wieder auf meinen Balkon. Am Geländer ist ein neues Nest. Es herrscht schon etwas Betrieb. Ich freue mich auf einen schönen Sommer. Und den wünsche ich Dir auch.

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