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Übergangsriten

Dezember 2007

Mythologisch entspricht die »Grosse Mutter« dem grossen Kreislauf. Es ist das Tod - Wiedergeburt - Motiv, die ewige Rückkehr. Der »Himmels Vater« ist die Suche, die Reise von der Unberührtheit zur Erfahrung, von der Dunkelheit zum Licht, von der Heimat zum Horizont. Beide Zyklen müssen beachtet werden.

Anfang Dezember war ich für ein Seminar in einem kleinen Dorf im Oberallgäu. Beim Frühstück erzählte mir der Wirt der Pension von einem grossen Ereignis, das diesen Tag stattfinden würde. Ein junger Mann, Zimmermannsgeselle, kam von seiner Walz (die traditionelle Wanderschaft der Handwerksgesellen) nach Hause zurück. Das es so was noch gibt? - dachte ich und freute mich riesig zugleich.

Es stand sogar im Wochenblatt. Erinnerungen wurden wach, wie der junge 20-jährige Held, Andreas, vor 3½ Jahren seine Reise begann. Er hatte einige Auseinandersetzungen mit seinem Vater und wollte schliesslich nur noch weg. Seine Mutter hatte viel geweint, musste sie doch ihren Sohn loslassen.

Wenn Du auf diese Wanderschaft gehst, wird sie mindestens 3 Jahre und 1 Tag dauern. Du musst mindestens 50 km von zu Hause weg sein. Meist geht es durch ganz Europa. Für schlafen und reisen darfst du kein Geld ausgeben. Natürlich bist du ohne Mobiltelefon unterwegs. Du lebst von wenig Geld und nur von der Gastfreundschaft der Handwerker und ihrem Ehrenkodex. Du bist weg von der mütterlichen Wärme und natürlich wissen Deine Eltern nicht, wo Du Dich gerade aufhältst. Du wirst viel lernen, aber auch schlechte Erfahrungen machen. Winter können verdammt kalt sein. Wo findest Du Obdach, wenn es gießt wie aus Eimern? Kein Geld mehr in der Reisekasse, wo kommt das Essen her? Aber Du lernst auch, auf Dein Glück zu vertrauen. Nicht an allem zu verzweifeln. Das Leben so zu nehmen wie es kommt. Aus allem das Beste zu machen.

Andy hatte das ganze Dorf hinter sich, wie er loszog. Vom »Gasthof zum Kapitel« in der Mitte des Dorfes wurde er mit einer Blasmusikkapelle bis zum Ortsausgangsschild begleitet. Dann musste er allein weiter, immer zu Fuss!

Heute nun kam er heim, ein erwachsener Mann, und wieder war die Kapelle und das Dorf da, wartete am Ortseingang, bis Andreas auftauchte, begleitet von anderen Gesellen auf Wanderschaft, und wieder setzte die Musik ein, das Dorf hiess ihn wieder Willkommen, gemeinsam ging es mit der Musik zum Bauernhof, wo die Mutter schon ein grosses Fest vorbereitet hatte.

Ist das nicht wunderbar? Meine Augen füllen sich mit Tränen vor Respekt gegenüber diesem Menschen. Andreas hatte den Mut, das Unbekannte zu erforschen und seine eigenen Stärken zu finden. Rituale sind in unserer Zeit so selten geworden, dabei sind sie so wichtig, unersetzlich, wenn z.B. ein Junge zum Mann oder auch ein Mädchen zur Frau werden will. Gerade für einen Jungen ist es nicht einfach, eine gesunde Trennung vom Band mit der Mutter zu erreichen. Deswegen verhalten sich viele Männer noch heute wie Kinder, und ihre Partner üben häufig Mutterrollen aus. Aber der Junge muss diesen Schritt tun, wenn er Zugang zur männlichen Energie finden will, die Erfahrung machen möchte, dass er von dieser Energie getragen wird, in Berührung mit seiner eigenen Seele kommen will.

Naturvölker wissen, wie schwer diese Transformation ist, deshalb erleben die Jungen die Rituale oft als mächtige emotionale Erfahrungen, teilweise unter Schmerz (der eigene Körper wird vom Charakter als weiblich angesehen). Und sie bekommen Initiationen in das Erwachsenensein, ähnlich wie meine geschätzten Seminarteilnehmer Initiationen in das Reikisein bekommen. Initiationen sind das grösste Geschenk, das man in seinem Leben - für sein erfülltes Leben - bekommen kann. Ach - es gibt so viele verletzte und nicht initiierte Männer in unserer Zeit!

Die Riten werden unter Regie der Stammesältesten noch immer in 6 Schritten durchgeführt. Von Volk zu Volk verschieden in der Ausführung sind die Themen doch immer gleich.

  1. Physische und damit psychologische Trennung von den Eltern, oft über Nacht
  2. Symbolischer Tod der kindlichen Abhängigkeit (allein in Dunkelheit etc), es gibt keinen Weg zurück
  3. Zeremonie der Wiedergeburt (rituelles Bad, neuer Name)
  4. Unterricht in Privilegien, Verantwortlichkeiten, Techniken und Einführung in die Mysterien (spirituelle Erdung)
  5. Isolation, Rückzug zu einem heiligen Ort, die innere Stärke finden, Martyrium, Leidensphase, rituelle Opferung des Komforts des Fleisches und der kindlichen Abhängigkeit, eigene Weisheit und Mut finden
  6. Rückkehr als initiierter Erwachsener

Ähnliche Riten gibt es für Mädchen, die zur Frau werden. Welche Frau könnte davon berichten? Die Passage ist in der Regel nicht so streng, da nach dem Lösen von der Mutter das weibliche Bewusstsein und die Aufgaben einer Frau nicht durch etwas anderes ersetzt werden müssen.

Irgendwie hat Andreas das alles selbst in die Hand genommen, nehmen müssen, weil es in unserer westlichen Welt wenig Führung und Vorbild für die Jungen gibt. Er hat ganz sicher alle 6 Schritte erlebt, und er hat es nicht nur für sich getan, auch für seinen Vater, und stellvertretend für viele andere Männer. Er ist ein wunderbares Beispiel und Erinnerung, dass Du und ich und jeder Mensch immer das Potential hat, seine 6 Schritte auf irgendeine Weise zu gehen.

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