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Die Sucht nach Lust

Juni 2010

Ich bin süchtig nach Reiki. Und nach so manch anderem. Sucht ist der Blutantrieb Nummer 1 im menschlichen Leben. Alles, was ich wiederholen muss, ist eine Sucht, angefangen beim atmen. Der Mensch ist auf Lust programmiert. Er lebt dafür. Lustgefühle sind pure Energie, anders gesagt eine einfache chemische Reaktion.

Jedes Lustgefühl schränkt meine Freiheit immer weiter ein. Denn die Erinnerung an ein schönes Erlebnis wird dazu führen, in späteren ähnlichen Situationen ähnliche Wege zu gehen. Die Persönlichkeit zieht sich zu. Jede erfolgreiche Entscheidung brennt sich ein und bedingt die nächste Entscheidung.

Ob Sucht etwas Krankhaftes ist? Oder etwas ganz natürliches? Wenn jemand süchtig auf Alkohol oder Drogen ist, dann wird es allgemein als Krankheit bezeichnet. Aber entscheidet denn das Objekt der Sucht, ob ein Verhalten krankhaft ist?

Objekt als solches ist an Sucht ganz wichtig. Ironischerweise wird ein anderer Mensch, ein äusseres Objekt, eine äussere Situation mit dem Lustgefühl verbunden. Dabei wird das Gefühl selbst gänzlich von innen erzeugt, es sei denn, die Chemie würde von aussen zugeführt. Wann immer ein äusserer Faktor zur Bedingung von Glücksgefühl wird, handelt es sich um Sucht.

Wird in einer Situation ein Lustgefühl ausgelöst, fängt der unbewusste Geist an, die Situation zu analysieren. Da war dieser Mensch anwesend, da lief Santana im Radio, da war die Flasche Rotwein offen, wir waren in Indonesien am Strand. Ab sofort bringen schon Santana und Rotwein ein gutes Gefühl. Ich brauche diesen Menschen, wenn ich Lust spüren will. Und im nächsten Urlaub muss es natürlich wieder nach Indonesien gehen. Schwieriger wird es, wenn das gute Gefühl bei einem Meisterschaftstitel entstand oder bei der Besteigung eines Achttausenders. Die Schwelle zur weiteren Belohnung liegt dann unglaublich hoch. Der Geist ist einfach gestrickt. Gehirnforscher nennen das assoziierende Erinnerung. Ein Erlebnis bekommt eine Ladung. Allergien funktionieren nach dem gleichen Prinzip, nur mit negativen Assoziationen.

Assoziierende Erinnerungen werden vom Gehirn z.B. im Konzept von Liebe aufgebaut. Im neuronalen Netz werden Ideen, Gedanken und Gefühle erzeugt, miteinander verwoben und gespeichert. So kann Liebe mit Enttäuschung verbunden sein. Denkt so jemand an Liebe, denkt er automatisch an Erinnerung von Schmerz, Leid, Ärger und Wut. Wut kann mit Verletzung verlinkt sein, und diese mit einer bestimmten Person, die dann weiter (oder besser zurück) zum Begriff Liebe verbunden wird.

Ohne zu urteilen speichert der unbewusste Geist das einfach nur ab. Die Vorstellung, mein KörperGeist sei in aller erster Linie eine Radiostation mit angeschlossener Chemiefabrik, ist nicht besonders erbaulich. Vermutlich ist sie zutreffend. Da gibt es drahtlose (Licht) und über Kabel laufende (Nerven, Blut, Lymphe) Empfänger, Sender, Leiter und Speicher für die Signale. Die elektrischen (leitenden) und die chemischen (dissoziierenden) Eigenschaften von Wasser spielen bei den Körperflüssigkeiten eine entscheidende Rolle. Die Wahrnehmung von Gedanken, unsere geistige und mentale Leistung, was der Geist will, ist nur das Endprodukt elektrischer und chemischer Prozesse, die Teil der eigenen Wirklichkeit sind.

Jedes neue Erlebnis wird zu einer Erinnerung, in der neuronale Verbindungen und Kreisläufe im Gehirn gebildet werden. Wenn diese Verbindungen entstehen, setzen sie Chemikalien frei, die ein bestimmtes Gefühl erzeugen. So hat jede Erfahrung als Endprodukt eine Emotion und ein Gefühl. Das ist nötig, damit ich mich an meine Erfahrung besser erinnern kann. Neue Erfahrungen werde ich deshalb auch physisch oder im Geist wiederholen. So prägen sie sich noch besser ein. Der Lernprozess des Lebens ist in erster Linie ein Akt, neue Verbindungen im Gehirn zu bauen. Erinnerung dient dazu, diese Verbindung intakt zu halten.

Eine wichtige Rolle spielen bestimmte Peptide, chemische Komponenten, die der Hypothalamus produziert, um dem KörperGeist seinen Antrieb zu geben. Sie erzeugen das Lustgefühl, das Glücksgefühl, den Orgasmus. Welcher KörperGeist würde das ganze Erdenleben wohl mitmachen, wenn da nicht wenigstens dieses Gefühl wäre? Welche Seele hätte wohl »Lust« darauf, Bewusstsein zu erfahren, wenn da nicht wenigstens ein Kick dabei wäre? Es scheint, die Natur (oder Gott) haben das mit einer gewissen Absicht so eingerichtet. Überleben sollte belohnt werden. Wenn ich vor dem Tiger fliehen konnte, wenn ich meinen Feind niederstrecken konnte, wenn ich mich fortpflanzte, dann wurde ich dafür belohnt. Nicht ohne Grund ist Lust mit dem Sexualchakra verbunden (wie auch der pathologische Gegenpol - der Frust). Es wurde belohnt, dass Leben zu leben, der Wille zu überleben, Bewusstsein zu erleben, Erfahrung für das Universum zu sammeln.

Wenn hingegen Frust einsetzt, bleiben Verlangen nach Belohnung und Lust unbefriedigt. Die Zellen schreien zum Gehirn, weil ihre chemischen Bedürfnisse nicht erfüllt werden. Der Mensch wird depressiv, verwirrt oder er leidet. Der Geist sucht (Sucht?) nach anderen Situationen, um belohnen zu können. Unter Umständen werden andere neuronale Verbindungen gelegt, die bei schlimmen Situationen das Belohnungssystem anwerfen müssen. Denn wir brauchen das gute Gefühl.

Da gibt es Menschen, die unter Stress essen müssen. Sucht! Selbstsabotage! Denn Stress hat mit gefühlter Lebensgefahr zu tun! Welcher normale Mensch würde sich da hinsetzen und Essen in sich hineinstopfen, sich schwer und unbeweglich machen? Natürlich muss sich das Bewusstsein von nicht kämpfen oder nicht weglaufen wollen (es ist übrigens ein Mangel an Mut bzw. Wut auf sich selbst) auf der physischen Ebene manifestieren, so kann es bei Wiederholungen noch besser einfahren. Der Mensch nimmt Gewicht zu und macht seinen Körper träge. Er behindert den Abtransport von Schlacken. Ganz nach dem Motto: Wenn die Schlacken schon mal da sind, kann ich sie auch behalten. Wenn so jemand wieder schlank werden will, muss er sich süchtig machen nach 65 kg Körpergewicht. Er muss die Lust spüren, wie es sich anfühlt, mit einer Leichtigkeit den Berg hinauf zu schweben, für seine Figur bewundert zu werden. Das Gehirn wird dann die Chemie umstellen und andere neuronale Verbindungen legen. So funktioniert im Prinzip auch Mentaltraining, es werden lustvolle und sehr lebendige Emotionen kreiert, diese verbunden mit dem gewünschten Endzustand.

Wenn ich schöne oder hässliche Kleidung kaufen muss oder die Kleidung meines Idols - alles ist Sucht. Was für ein Gefühl, ein schlechtes Selbstbild wieder und wieder bestätigen zu können? Ungesunde Sucht geht bis dahin, sich von anderen Menschen ausnutzen, quälen und misshandeln zu lassen. Das ist auch der tiefe Grund, warum sich die Partner einer destruktiven Gemeinschaft nach endlich erfolgter Trennung bald wieder in einer ähnlichen Situation befinden.

Sogar die viel beschworene Liebe ist häufig nichts weiter als Sucht, es sei denn diese Liebe wäre bedingungslos. Benötige ich aber meinen Partner, um den Schalter bei mir umzulegen, damit meine Chemiefabrik angeworfen wird, dann ist das eine Bedingung. Wenn mein Partner das eines Tages nicht mehr macht, ist auch schnell die ganze Liebe weg. Meine Partnerschaft war nur eine Sucht, die eines Tages nicht mehr befriedigt wurde.

Menschen, die ich liebe, sind bereit, meine emotionalen Bedürfnisse zu teilen, was auch immer diese seien: sexuell, quälend, betrügend, Macht oder Kontrolle. Wenn ich mich nicht wertvoll fühle, so brauche ich diese Emotion, die mich fühlen lässt, wertvoll zu sein. So kann ich süchtig nach Wut werden oder nach Aushungern. Verliebt zu sein kann eine Erwartungshaltung sein, Vorfreude auf eine Emotion, nach der ich süchtig bin.

Dr. Joe Dispenza beschreibt im Film »Down the Rabbit Hole« einen Laborversuch mit Hunden. Diese wurden an ein Gerät angeschlossen, welches auf Knopfdruck Neuropeptide freisetzen konnte. Die Hunde haben diesen Schalter allem anderen vorgezogen, das Lustgefühl auf Bestellung war wichtiger als Hunger, Sex, Durst und Schlaf. Das ging bis zur physischen Erschöpfung und Kollaps, bevor die Tiere an ihre Überlebensbedürfnisse gedacht hätten.

Wenn jede Emotion süchtig machen kann so ist es gut vorstellbar, dass ein Mensch nach Stress süchtig wird und den Job nicht wechseln kann, die Beziehung nicht aufgeben kann, auf seine Bedürfnisse nicht mehr achten kann. Wenn ich meinen emotionalen Zustand nicht verändern kann, muss ich zwangsläufig nach diesem Zustand süchtig sein. Ich muss Situationen erzeugen, damit die entsprechenden chemischen Bedürfnisse meiner Zelle befriedigt werden können.

Das tiefe Eintauchen in die eigenen Gefühle birgt die Gefahr, dass die Gefühle zum Werkzeug des Denkprozesses werden. Bestimmen die Gefühle dann die Gedanken, lebt der Mensch nur noch von der Vergangenheit. Gefühle hängen schliesslich immer mit vergangenen Erlebnissen zusammen. Ich werde mir in der Konsequenz eine Zukunft kreieren, die meiner Vergangenheit entspricht. Bin ich in Opferbewusstsein, Leiden oder Unsicherheit verstrickt und sind meine Gefühle zum Barometer meiner Realität geworden, kann meine zukünftige Realität nur meiner aktuellen Verstrickung entsprechen. Wenn ich nur Opferbewusstsein kenne, werde ich wieder Opfersituationen erleben. Das ist alles, was ich weiss.

Will ich eine neue Zukunft kreieren, muss ich alte Gefühle hinter mir lassen. Ich muss darauf verzichten, dass meine Gefühle über meine Gedanken bestimmen. Wenn ich dass schaffe, breche ich die alten Assoziationen auf, das neuronale Netz kann die Komponenten zerstreuen. Die Assoziationen werden gekappt. Eine neue Idee, ein neues Konzept, ein Traum, der nie erlebt wurde, der deshalb noch keine Emotion enthält, kann wenn ich es dann will, erlebt werden. Das ist die grösste Herausforderung für einen Menschen.

Thalamus Hypothalamus Hirnanhangdrüse
Thalamus (grün) - Hypothalamus (rot) - Hirnanhangdrüse (blau)
Inhalte © BodyParts3D/Anatomography
Lizenz CC-BY-SA-2.1-jp

Der Hypothalamus ist in der vedischen Physiologie mit Chandra (dem Mond) verbunden. Seine Eigenschaften entsprechen denen einer Mutter oder Königin, weibliche Eigenschaften der Aufrechterhaltung des Status Quo im Körper. Er kontrolliert das nährende Verhalten, die Körpertemperatur, das Fortpflanzungsverhalten und die Hormonzyklen mit verschiedenen Frequenzen, z.B. den 28 tägigen Zyklus der Frauen. Er ist der wichtigste Regler für alle Körperfunktionen: Herzschlag, Blutdruck, Hunger, Durst, osmotischer Druck, Sexualhormone, Stresshormone, Immunreaktionen, autonomes Nervensystem. Der Hypothalamus kann jede Hormondrüse des Körpers kontrollieren. Der Hypothalamus, der direkt unter dem Thalamus in der Mitte des Gehirns liegt, ganz eng an Hypophyse und Türkensattel, ist wie eine kleine Fabrik. Er baut die Chemikalien zusammen, die haargenau auf bestimmte Emotionen passen, die ich erlebe. Das sind prinzipiell kleine Ketten von Eiweissen oder Aminosäuren. Diese werden auch Neuropeptide oder Neurohormone genannt. Es gibt Chemikalien für Wut, Trauer, Opferbewusstsein oder Lust. Erlebe ich einen bestimmten emotionalen Zustand im Körper oder Geist, baut der Hypothalamus sofort das entsprechende Peptid zusammen und schüttet es über die Hirnanhangdrüse (Hypophyse) in den Blutkreislauf. Von hier findet das Peptid zu den verschiedenen Körperteilen.

Jede Körperzelle ist an der Oberfläche mit tausenden so genannter Rezeptoren ausgestattet. Diese warten nur darauf, dass ein entsprechendes Peptid auftaucht. Dockt das emotionale Peptid an, so ist es wie ein Schlüssel, der in ein Schloss passt. Es klingelt an der Zelltür, und das Signal wird durch die Zellmembran, das Gehirn der Zelle, der Filter, in die Zelle gesandt. Das Peptid verändert die Zelle, solange es angedockt ist. Es setzt eine ganze Kaskade biochemischer Abläufe in Gang. Einige können den Zellkern verändern, sodass nach der Zellteilung neue Zellen mit anderer Anatomie, Physiologie und anderem Bewusstsein entstehen. Auf Kosten von Rezeptoren für Nährstoffe, Vitamine, Mineralien, Flüssigkeitsaustausch oder Abtransport von Abfallprodukten könnten sich z.B. mehr Rezeptoren für die spezifische Emotion auf der Oberfläche anfinden. Die neue Zelle ist von minderer Qualität. Alterung ist die Folge von emotionalem Missbrauch.

Candace Pert verweist darauf, daß sogar einzellige Organismen mit emotionalen Molekülen ausgestattet sind. Das Lustprinzip scheint grundsätzlich am Leben zu sein.

Die allermeisten Menschen wissen nicht, dass sie süchtig nach ihren Emotionen sind. Jeder ist süchtig. Und jeder ist nur deshalb süchtig, weil er noch nichts Besseres gefunden hat, wonach er süchtig sein könnte. Wenn er etwas findet, so ist es hoffentlich etwas gesünderes, so wie Reiki.

Jeder hat für die Probleme seines Lebens eine Kiste mit Lösungsstrategien im Gehirn. Die Strategien bestimmen die Körperchemie. Wenn ich das neuronale Netz ändern will, brauche ich eine andere Kiste. Ich muss meine Identität ändern, meine Einstellung, die Wechselwirkungen mit meiner Umgebung.

Wer in einer Abfolge von vergnüglichen Momenten durch das Leben geht merkt gar nicht, wie sehr er von diesen äusseren Faktoren abhängig ist. Erfüllt von Lust ist für wahres Glück kein Platz. Lust und Vergnügen sind temporär. Bald schon können sie in Schmerz oder Desaster enden. Denn Abhängigkeit ist die Ursache allen Leidens. Unabhängigkeit oder Autonomie wäre die Lösung.

Wahres Glück ist von Dauer. Wenn der innere Frieden zur Wirklichkeit wird, dann hat Reiki seine Arbeit getan, und ich werde Reiki nicht mehr praktizieren müssen.

Wer Sucht nicht versteht, wird niemals seinen Körper verstehen.

Der Hirnforscher Wolf Singer über die größten Irrtümer und die Zukunftsvisionen seiner Forschergemeinde: Die meisten Menschen können sich nicht vorstellen, dass unsere geistigen und mentalen Leistungen die Folge von neuronalen Prozessen sind - und nicht umgekehrt. Sie sind meist heimliche Dualisten und glauben, dass da ein unabhängiger Geist schaltet und waltet und irgendwie mit dem Gehirn wechselwirkt, damit es das tut, was der Geist will. Ein soziales Organ

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