Rolfing tut gut
Im Februar 2011 habe ich mich entschieden, eine Behandlungsserie im Rolfing (Strukturelle Integration nach Ida Rolf) mitzumachen. Über lange Zeit war mir bewußt, daß meine Körperhaltung nicht besonders günstig war: eingezogener (nach vorn gestreckter) Nacken, Rundrücken oben, Hohlrücken unten, der in ein zurückkippendes Becken überging. Einmal habe ich gemessen, daß die selbst auferlegte Stauchung mindestens 3 cm meiner Körpergröße ausmachte.
Unnatürliche Haltung führt zu unnötigen Spannungen und Verspannungen im ganzen Körper. In so einer Situation müssen einzelne Körperteile mehr Kraft und Dehnung aufbringen als sie eigentlich sollten, dafür tragen andere fast gar nichts mehr bei. Das ganze Gebilde funktioniert nicht mehr in richtigen Proportionen, der Körper wird nur noch mit Anstrengung aufrecht gehalten.
Eine Aufgabe vom Rolfing ist, Verspannungen im Muskel-Bindegewebe aufzulösen, damit der Körper wieder von sich aus in eine ökonomische Haltung findet, sich aufrichtet, wieder ins Lot kommt. Der Ansatz, physisch an den Verspannungen zu arbeiten, macht durchaus Sinn. Es ist bekannt, daß bei Verspannungen, Traumata und sogar bei nicht verarbeiteten Emotionen chemische Prozesse ablaufen. Erinnerungen mit solch einer Ladung - was man nicht losgelassen hat - werden so physisch im Körper gespeichert, oft in den Muskeln und im Bindegewebe, welches auch als Flüssigkristall bezeichnet wird, den ganzen Körper durchzieht und alle Teile miteinander verbindet. Wenn sich der Körper wieder leichter bewegt, werden Fehlbelastungen von Gelenken und Geweben vermindert und dadurch bedingte Beschwerden bessern sich.
Rolfing Anwender folgen einem fest vorgeschriebenen Protokoll von maximal 10 Sitzungen. Jede Sitzung dauert etwa 1 Stunde. Längere Pausen zwischen den Sitzungen sind empfohlen, damit der Körper seine neue Haltung und bessere Bewegungsabläufe einstudieren und abspeichern kann. Das Ziel ist, auf Dauer eine bessere Alternative zu haben, Haltung und Bewegung ohne Anstrengung.
Die ersten 3 Behandlungen hatte ich als tief entspannend empfunden, und ich hatte im Anschluss jeweils ein deutlich leichteres Körpergefühl. Beim Laufen ist der ganze Körper besser mitgegangen. Mir schien, ich würde gleich vornüber stürzen. Ich setzte mehr auf dem ganzen Fuß auf. Das Laufen schien ohne Kraftanstrengung zu funktionieren. Wegen reduzierter Anspannungen konnte ich freier atmen. Bei meinen Yogaübungen sind links-/ rechtsseitige Übungen ähnlicher geworden. Im Brustwirbelbereich hatte es an einigen Wirbeln manchmal geknackt, was ich erfreulich fand, weil dieser Bereich bei mir immer recht steif war.
2 verletzte Körperstellen an Schulter und Knie, die selbst Monate nach Sportunfällen einen gewissen Restschmerz aufwiesen, waren nach der ersten Behandlung schmerzfrei. Eine über lange Zeit unbekannte Stabilität tauchte dort plötzlich wieder auf.
Nach der 4. Behandlung zeigten sich nur noch kleinere Wohlfühlunterschiede im Vergleich zum Befinden vor den Behandlungen. Mit ein paar Tagen Abstand fühlte ich mich nur noch wie vor Rolfing. Die 2 verletzten Körperstellen kamen mit den altbekannten Schmerzen zurück, beim joggen wurden die Beine recht müde und schwer, und ich wurde an eine weitere Sportverletzung erinnert, die bereits 27 Jahre zurücklag, damals bekam ich Karateschläge an die Schienbeinkante. Die Leichtigkeit der letzten Wochen schien dahin. Ich hatte Mühe, die ökonomisch leichteste Haltung einzunehmen.
Die posttraumatischen Unfallschmerzen konnte ich dem Rolfing zwar nicht anlasten. Schliesslich waren die Unfälle schon vor Jahren passiert. Die Schmerzen zeigten eindrücklich, dass die Zeit eben keine Wunden heilt, und der Körper Verletzungen nicht einfach so vergisst. Die Hoffnung, Rolfing könne hier zu dauerhaften Verbesserungen führen, bestätigte sich allerdings nicht.
Das allgemeinere auf und ab des Befindens fand mein Rolfing Anwender typisch. Systeme könnten sich nicht ohne Fluktuationen verändern. Oft habe man den Eindruck, in den ersten Sitzungen werde das System entstaubt, und alles ginge besser und leichter. Wenn man dann aber tiefer käme, sei es wieder etwas ganz anderes. Das System beginne, sich zu ändern.
Mit den folgenden Behandlungen ging es mit dem Laufstiel tatsächlich wieder besser. Ich hatte eine leichte Neigung nach vorn bekommen. Selbst Bergauf - Strecken liessen sich jetzt mühelos überwinden. Mit meinen alten Joggingpartnern konnte ich nicht mehr auf Tour gehen, weil ich jetzt ein schnelleres Tempo brauchte, wenn ich nicht mit zusätzlicher Kraftanstrengung regelmäßig abbremsen wollte.
Längerfristig bin ich etwa 10% schneller geworden, spüre beim joggen keine Atmungsprobleme, denn der ganze Oberkörper ist freier, lockerer und lässt mehr Luft zu. Im Sitzen und Stehen gibt es kaum noch Ermüdung, das Becken hat eine leicht andere Position gefunden, die den oberen Teil jetzt ohne Kraftanstrengung in sich ruhen lässt.
Dabei finde ich sympathisch, dass die neue Haltung weder antrainiert noch ständig geübt werden musste. Der Körper hat sie einfach und von allein verbessert.
Im Zusammenhang mit den Sportverletzungen seien Triggerpunkte erwähnt, kleine schmerzhafte Muskelverkrampfungen. Der Muskel stört entweder seine eigene ATP Versorgung (Adenosintriphosphat, eine chemische Substanz, die benötigt wird, um den Muskel zu entspannen), oder Nervenenden sind nach einer Verletzung beschädigt und können dem Muskel zwar über einen freigesetzten Signalstoff noch den Befehl zum Zusammenziehen geben, den Signalstoff aber nicht mehr aufnehmen, um den Muskel wieder zum Entspannen zu bringen. Werden solche Punkte nicht behandelt, kann das zu Fehlbelastungen aufgrund von Schmerzen und in der Folge zu Abnutzungserscheinungen führen.
Betreffend der erwähnten 2 verletzten Körperstellen gehe ich davon aus, dass die gezielte Massage entsprechender Triggerpunkte innerhalb des Rolfings zwar zu einer verbesserten Durchblutung und damit ATP Zufuhr geführt hatte, dass in der geringen Anzahl von Anwendungen mit 2-4 Wochen Abstand die Triggerpunkte aber nicht hinreichend aufgelöst werden konnten. Hier scheint mir eine spezielle Triggerpunkte Physiotherapie die optimale Wahl.
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