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Der alte Indianer und der Tod

Dezember 2008

Wenn eine Welle im Ozean auftaucht, so ändert das die Natur des Ozeans überhaupt nicht. Es ist immer noch Wasser. Die Welle gehört zum Ozean. Sie ist nicht vom Ozean getrennt. Welle und Ozean sind nicht-zwei oder ver»zwei«felt, und ausser einer Erscheinung ist nichts weiter passiert. Auch im Gewahrsein scheint Bewusstsein aufzutauchen und wieder zu verschwinden. Auch diese Erscheinung ändert das Gewahrsein oder das Absolute nicht im Geringsten. Das Bewusstsein ist vom Gewahrsein nicht getrennt. Das heisst - nichts ist wirklich passiert.

Vor nicht allzu langer Zeit las ich ein Interview mit dem bekannten Opernsänger Rolando Villazón. Es gab viel zum schmunzeln wie der Tip, immer mit Papier zu rascheln, wenn man bei Behörden etwas erreichen wolle. Und dann kam plötzlich die Geschichte vom Tod seiner magischen, fast irrealen Grossmutter: »Eines Tages rief sie uns an und sagte, dass sie den Tod nahen fühle. Sie sagte, dass sie uns liebe und uns für alles danke, aber jetzt sei der Augenblick des Abschieds gekommen. Wir sind natürlich sofort ins Auto gestiegen und zu ihr gerast - und als wir ankamen, war die Tür verschlossen. Wir haben überall nach ihr gesucht, aber sie blieb verschwunden. Sie hatte beschlossen, wie die Elefanten zu sterben. Sie ist einfach verschwunden«.

Ich war verblüfft und sprachlos, und ohne jeden Moment des Abwägens kam mir sofort der Gedanke: Wow! Das ist die beste Art zu sterben! Was für eine mutige Frau, und welch starkes Vertrauen in die Bedeutung des Todes - nicht im Jammern zu gehen, eingeengt von Angehörigen, die nicht loslassen können, die eine Trauer und ein Leiden affirmieren, die dem Scheidenden die Luft zum erhabenen Übergang nehmen, das Gefühl nehmen, immer von der eigenen Energie getragen zu sein.

Und plötzlich war es da, dieses Bild vom alten Indianer, der einsam und allein auf der Spitze eines Berges sass und sich bereit machte zu sterben, denn er wusste, seine Zeit war gekommen. Wie viele Filme haben mir dieses starke Bild vorgehalten, und wie viel Kraft liegt eigentlich darin?

Wenn wir Rituale und Initiationen in unserem Leben erhalten - das Privileg ist schon etwas besonderes - dann sind das auch starke Momente, aber sie sind verbunden mit irgendwelcher Aktivität.

Dieses letzte Ritual dagegen ist eines ganz in Stille, ganz ohne jedes Zutun. Vielleicht ist es das stärkste von allen.

Kommt dann der Einblick in die tiefe Bedeutung, die das einzelne Leben ausgemacht hat? Kommt vielleicht Klarheit, die die ganzen Tragödien und Glücksmomente in einem völlig anderen Licht erscheinen lassen? Kommt vielleicht eine Einsicht und tiefes Verständnis, ein Teil von allem zu sein? Kommt ein inneres Wissen über die wahre Natur?

Kann ich dann vielleicht die Frage beantworten »Wer bin ich?«

Es heisst, der bewusste Geist sei nur eine Illusion, er erzeuge deswegen so viel Drama, damit ihm weiter Aufmerksamkeit geschenkt würde. Schliesslich existiert nur das, was Aufmerksamkeit erhält! Schenke ich einer Illusion Aufmerksamkeit? Und warum? Die gleichen Philosophen messen dem bewussten Geist dennoch einen Wert bei: Man könne erkennen, wer oder was man nicht ist! Ein Anfang und eine ganz spannende Idee ist die Feststellung, dass ich nicht sein kann, was ich besitze. Was bedeutet es dann, wenn ich sage - mein Körper? Was bedeutet es, wenn ich sage - mein Geist, meine Gedanken?

Der symbolische Tod

Ein Freund von mir hat einmal ein sehr spezielles Unternehmen gewagt. Er liess sich für 24 Stunden eingraben, ein symbolischer Tod. Ist das nicht schrecklich mutig?

Ich bin überzeugt, dass solche Rituale die gleiche Einsicht hervorbringen können, wie sie der Indianer dort hoch oben hat. Zudem nehmen sie die Angst vor dem Tod, da man ihn erlebt, ohne ihn erleben zu müssen. Das ist Loslassen, das Vertrauen schafft.

In Japan wird die Praxis eines symbolischen Todes als der ultimative Weg angesehen, den spirituellen Frieden des Geistes in sich zu finden. Deswegen war Mikao Usui auf dem Kurama Berg.

Die Momente des grossen Loslassens sind vielleicht die Momente, in denen die wichtigste Frage des Lebens ihre Antwort findet. Vielleicht sind sie aber auch die Momente, in denen solche Fragen nicht mehr wichtig sind.

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