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Das Thema Sexualität ist sehr gefährlich

Charles Meyer hat zusammen mit Psychotherapeut Peter A. Schröter das Buch »Die Kraft der männlichen Sexualität« geschrieben. Es geht es um Gefühle, abwesende Väter und den männlichen Orgasmus.

Das Thema Sexualität ist sehr gefährlich

Franziska Meiers Interview vom Dezember 2003. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung von Charles Meyer.

Charles Meyer, Sie haben ein Buch über männliche Sexualität geschrieben. Warum?

In den letzten dreissig Jahren sind wir Männer in der Geschlechterdiskussion ziemlich unter die Räder gekommen. Peter A. Schröter und ich wollen ein Gegengewicht setzen und die Männer herausfordern, über sich und ihre Rollen nachzudenken.

Wie hat sich die Emanzipation der Frauen auf die männliche Sexualität ausgewirkt?

Verheerend. Wir sind als Täter hingestellt worden und haben uns schlecht gefühlt. Wir sollten Softies werden. Doch das war eine Sackgasse. Dazu kam der Leistungsdruck in der Sexualität. Seit den 50ern des letzten Jahrhunderts, als man den Orgasmus der Frau entdeckte, stehen wir Männer in der Pflicht, die Frauen zu befriedigen. Das stresst und verhindert ein lustvolles, neugieriges Spielen in der Sexualität.

Was verstehen Sie unter Spielen?

Nachdem der Mann für den Höhepunkt der Frau gesorgt hat, lässt er noch seinen eigenen kurz zu. So wird es in Medien, Literatur, Pornos dargestellt. Wir Männer orientieren uns daran. Wenn wir den Mut hätten, auf uns selbst zu hören und nicht auf die Medien, würden wir spielerisch ganz neue Welten entdecken. Sexuelle Energie ist nicht ein steiler Rausch, der im Höhepunkt explodiert. Kein sekundenweises Verlieren und sofortiges Wiederergreifen der Kontrolle. Möglich wäre ein ekstatisches Verschmelzen mit der Partnerin, und zwar für länger als nur ein paar Sekunden. Ich will ja nicht ein Guru von Ekstase und Glückseligkeit werden (lacht) - aber es wäre viel mehr möglich als das, was die meisten Männer erleben.

Sie plädieren in Ihrem Buch dafür, dass Männer mehr zu ihrer Männlichkeit stehen. Was hindert sie daran?

Zwei Dinge fehlen in unserer Gesellschaft. Das Vaterbild ist verloren gegangen: Väter sind physisch und emotional nicht mehr da, sie verstecken sich in ihrer Arbeit, hinter der Zeitung, bei ihrer Geliebten. Dadurch wird das Bild der Männlichkeit von den Vätern an die Söhne nicht weitergegeben. Zudem sind Väter oft noch vom Gedanken der Eroberung geprägt. Durch die Medien mit sexuellen Reizen konfrontiert, fühlen wir uns ständig sexuell gefordert. Das distanziert uns vom Vater-Sein. Wenn ich mit einem Kind an der Hand an einem Plakat mit einer leicht bekleideten Frau vorbeigehe, dann werde ich als sexuelles Wesen, als Junggeselle, angesprochen und nicht als Vater.

Und das zweite Fehlende?

In unserer Gesellschaft fehlt ein bewusster Umgang mit der Pubertät. Der Junge ist in dieser Zeit stark testosterongesteuert, aber gleichzeitig werden in der Schule höchste Leistung und Disziplin gefordert, und er sollte einen Lebensplan entwerfen. Pubertierenden sollte man mehr Raum lassen. Man sollte mehr mit ihnen arbeiten, statt sie polizeilich aus den Parks zu vertreiben. Ebenfalls wichtig wäre ein Ritual, das die Pubertät abschliesst, das dem Jugendlichen sagt: Jetzt trägst du die Verantwortung für dich. Jetzt bist du ein Mann.

Damit wären wir beim männlichen Idealbild, das Sie in Ihrem Buch vertreten: dem »phallischen Mann«, der Verantwortung in jedem Lebensbereich übernimmt. Charakterisieren Sie diesen phallischen Mann bitte näher.

Der phallische Mann besinnt sich auf seine Verantwortung der Gesellschaft und dem Leben gegenüber. Er ist um das grosse Ganze besorgt. Im Gegensatz zu jenen Managern, die nur den Quartalsabschluss ihres Unternehmens - und ihre eigene Abgangsentschädigung - vor Augen haben, worunter viele Angestellte ächzen. Als Angestellter widersetzt sich der phallische Mann dem patriarchalen Leistungsdruck und anerkennt seine Grenzen.

Der phallische Mann lebt seine Männlichkeit, genauso aber auch seine weiblichen Seiten. Er ist mit seiner Lebensenergie verbunden und gesteht sich seine eigene Autorität zu. Er sucht und findet in der Gerümpelkammer seiner Seele den Schatten, das Verdrängte, er anerkennt seine Ängste, seinen Zorn, die Habgier und den Stolz, er versöhnt sich mit seiner Einsamkeit und seiner Verzweiflung, er steht zu seiner Hilflosigkeit, seiner gelegentlichen Impotenz. Seine Wildheit macht er sich zum Bruder, und von seiner Sexualität lässt er sich nicht treiben, sondern er verbindet den Trieb mit Bewusstsein. So wird Sexualität zur Lebenskraft.

Wie kann man sich diesem Ideal im alltäglichen Leben annähern?

Wir Männer sollten uns mehr untereinander austauschen. Nicht nur über den FC Basel oder das Militär, sondern auch einmal über unsere Väter, über eigene Schwächen im Business oder über Beziehungsschwierigkeiten. Und wir sollten uns mit unserer Aggression auseinander setzen. Unsere Gesellschaft hat ein beinahe schizophrenes Verhältnis zur Aggression. Wir fürchten uns vor der Aggression von Einwanderern, haben Horror vor Gewalt an Schulen. Gleichzeitig feiern wir am TV täglich eine Orgie der Gewalt. Aggression ist ein natürlicher Impuls. Ein selbstbewusster Mann verdrängt Gewalt und Aggression nicht, sondern lernt und lehrt damit umzugehen.

Sie gehen in »Die Kraft der männlichen Sexualität« von der Beziehung zwischen Mann und Frau aus. Würden Sie es auch homosexuellen Männern empfehlen?

Auf jeden Fall. In Magazinen der homosexuellen Szene Deutschlands wurde das Buch sehr positiv besprochen.

Ihr Buch schneidet verschiedene Konzepte aus der Psychologie, aber auch die tantrische Philosophie an, manchmal ohne genauere Ausführung. Wer sich dafür interessiert, muss anderweitig weitersuchen.

So ist es auch gedacht. Wir wollten zeigen, dass es noch anderes gibt, als was wir hier in Europa kennen. Wir mussten uns aber beschränken, das Buch umfasst auch so schon 300 Seiten.

Ihr Buch hat einen eigenen Stil: Da ist die Rede von »Titten«, »Bombenarsch« und »Wichsheftchen«. Warum haben Sie diese Sprache gewählt?

Sprache kann viel bewirken. Das Wort Schwanz löst etwas anderes aus als Penis. Wir haben eine sehr unmittelbare Sprache gewählt, weil wir die Männer direkt ansprechen möchten.

Ein Buch wie das Ihre müsste eigentlich ein Gesprächsthema sein. Doch offenbar schweigen die Männer darüber. Warum?

Wir erhalten viel Feedback von Frauen, so im Stil: Jetzt verstehe ich einiges. Doch Männer reden nicht über diese Dinge. Ich weiss von Männern, die das Buch lesen, mir gegenüber aber kein Wort fallen lassen. Das Thema Sexualität ist sehr gefährlich. Einige sagten mir, dass sie das Buch lesen, setzten jedoch gleich das Signal: Ich will nicht weiter darüber reden.

Auch Sie selbst waren eher skeptisch, als ich Sie um ein Interview gebeten habe...

Einerseits geht es hier um sehr persönliche Dinge. Und andererseits um mein Image. Hier im Kanton Zug kennt man mich als Politiker. Dass ich auch Journalist bin und über psychologische Themen schreibe, ist für viele Leute neu. Und für mich wird es nicht leichter, wenn ich einen Bebauungsplan vorstelle und die Leute sich gleichzeitig fragen: Was tut der wohl im Bett?

Trotzdem eine persönliche Frage: Welche Vorgeschichte steckt hinter Ihrem Buch?

Wie bei den meisten Männern war mein Vater abwesend. Ich wurde nie in die Männerwelt eingeführt. Darum hatte ich immer das Gefühl: Männer, das sind andere. Mittlerweile habe ich herausgefunden, dass ich nicht der Einzige bin, der in seiner Männerrolle unsicher ist.

Sie haben Ihre Rolle als Politiker erwähnt. Dadurch haben Sie die Möglichkeit, die Gesellschaft mitzugestalten.

Richtig. In der Politik müssen wir Modelle fürs Zusammenleben der Generationen entwickeln. Weil in der Familie kein starkes Männerbild mehr vermittelt wird, weil die Väter ihren Söhnen zu wenig Grenzen setzen und ihnen den Umgang mit der Aggression nicht beibringen, fällt all dies an den Staat. Deshalb setze ich mich für Sozialarbeit an den Schulen ein. Und auch für Massnahmen, um die Jugendlichen vor der Verführung zur Sucht zu beschützen. Ich forciere Projekte, die junge Menschen dazu animieren, ihre Rolle in der Gesellschaft zu übernehmen.

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